Vielfältiges Altern „Das Alter wird bunter“, so hat der Altersforscher Leopold Rosenmayr einmal festgestellt. Dies trifft in mehrfacher Hinsicht zu: Die Bevölkerungsgruppe älterer Menschen differenziert sich durch ganz unterschiedliche Lebenssituationen und Lebensentwürfe sowie durch verschiedene kulturelle und religiöse Prägungen immer stärker aus. Die „jungen aktiven Alten“ der Babyboomer-Generation, die jetzt in den Ruhestand gehen, werden genauso unter dem Etikett der Älteren subsumiert wie sehr hochaltrige Menschen, die zum Teil hilfs- und pflegebedürftig sind. Auch zählen zunehmend Menschen aus anderen Kulturen, die seit über 50 Jahren nach Deutschland einwandern und hier geblieben sind, inzwischen zur älteren Generation. Der Umgang mit dieser Vielfalt ist eine Herausforderung für alle Teile der Gesellschaft. Vor allem, da der Bevölkerungsanteil der älteren Menschen weiterhin zunimmt.
Im Hinblick auf Kultur und Bildung wächst dementsprechend der Bedarf an qualitativ hochwertigen Angeboten, die die Lebenserfahrungen und -umstände älterer Menschen berücksichtigen und es ihnen ermöglichen, sich kulturell zu beteiligen. Denn die Auseinandersetzung mit Kunst und Kultur ist für viele ein Vehikel zu sozialer Teilhabe und höherer Lebensqualität. Kulturteilhabe bietet Älteren nicht nur Freude und Sinnstiftung durch künstlerisches Tun und kulturelles Engagement, sondern auch soziale Orientierung und Partizipation – wichtige Faktoren für ein positives und gelingendes Alter(n).
Räume für eine Kultur des Alter(n)
Für den Kulturbetrieb bedeutet die Auseinandersetzung mit dieser stetig wachsenden Zielgruppe, dass bestehende Angebote und Formate angepasst und ausgeweitet werden müssen, um sie für die große Nutzergruppe attraktiv zu machen, aber auch um Besucherrückgängen insgesamt entgegenzuwirken. Denn mit der Öffnung kultureller Institutionen für eine zeitgemäße Altenkulturarbeit entstehen zusätzlich neue Möglichkeiten der Publikumsentwicklung und der Zusammenarbeit, beispielsweise mit Akteuren aus der sozialen Altenarbeit. Die Einrichtungen benötigen dabei jedoch Hilfestellung in Form von Weiterbildung, Beratung, Vernetzung, Expertise, Wissensressourcen und Erfahrungstransfer aus schon erprobter Praxis.
Dieser Bedarf gab den Impuls zur Gründung einer Fachstelle, die beratend in Theorie und Praxis zum Thema „Kulturelle Bildung und Alter“ zur Verfügung steht. Auf Basis der langjährigen Erfahrung in den Arbeitsfeldern Kultur, Bildung und Alter, und unterstützt durch das Land Nordrhein- Westfalen, richtete das Remscheider Institut für Bildung und Kultur 2008 das Kompetenzzentrum für Kultur und Bildung im Alter – kurz: kubia – ein. Seither ist es zu einem Think Tank für jene Akteure avanciert, die Kultur und Bildung von und für ältere Menschen ermöglichen und fördern wollen. Das Angebot von kubia richtet sich an öffentliche Kultureinrichtungen und – verwaltungen, an Kulturpädagoginnen und -pädagogen, an Künstlerinnen und Künstler sowie an Tätige in der sozialen Altenarbeit und Pflege.
Aufgaben und Angebote
Die Aufgaben von kubia liegen in der Bündelung und Aufbereitung von Information, der Vernetzung, Beratung und Qualifizierung, Forschung und Projektdurchführung im Themenfeld „Kultur und Alter“ auf Landes-, Bundes- und Europaebene. Es unterstützt mit seinen Aktivitäten und seinem Service Kulturakteure und Einrichtungen in NRW bei der Entwicklung zukunftsgerechter Konzepte und innovativer Modelle angesichts des demografischen Wandels. Dies geschieht u. a. durch die Aufbereitung von Expertenwissen, durch Vernetzung, durch die Internetpräsenz (www.ibk-kubia.de) und im regelmäßig erscheinenden Newsletter, durch die Veranstaltung von Fortbildungen und Fachtagungen sowie durch Beratungsangebote. Mit empirischer Forschung zu Kulturinteressen und -nutzung Älterer und mit Publikationen zu Themen der Kulturellen Erwachsenenbildung bzw. Kulturgeragogik gibt kubia neue Impulse zur Weiterentwicklung innovativer Modelle in Politik und Praxis.
Ein wesentliches Anliegen von kubia ist die Professionalisierung der Kulturarbeit mit Älteren. Zu diesem Zweck wurden zwei Fortbildungsmöglichkeiten konzipiert. Die einjährige berufsbegleitende Weiterbildung „Kulturgeragogik – Kulturarbeit mit Älteren“, die gemeinsam vom Institut für Bildung und Kultur und der Fachhochschule Münster, Fachbereich Sozialwesen, entwickelt wurde, beschäftigt sich mit kulturellen Vermittlungs- und Aneignungsprozessen sowie mit Kultureller Bildung im Alter. Darüber hinaus vermittelt die Fortbildungsreihe „Kulturkompetenz 50+“ in ein- bis zweitägigen Workshops Wissen zu den besonderen Möglichkeiten und Grenzen der verschiedenen Kunstsparten bei der Arbeit mit Älteren und über altersspezifische kulturelle Interessen und Bedürfnisse. In dem halbjährlich erscheinenden Programm bietet ein erfahrenes Dozententeam wechselnde Seminare zur Kulturvermittlung in den verschiedenen Kunstsparten an, zu Engagement und Zusammenarbeit mit älteren Menschen, zu Möglichkeiten der Publikumsentwicklung und spezifischen Fragen des Kulturmanagements sowie zu Ansätzen von Kulturarbeit in der Altenhilfe und Pflege.
Themen und Aktivitäten
Die kulturelle Beteiligung von älteren Menschen, die aufgrund von Bildungsbarrieren kaum oder keinen Zugang zu Kultur haben, sowie von älteren Migrantinnen und Migranten, die wenig Berührung mit dem deutschen Kulturleben haben, und nicht zuletzt von Hochaltrigen mit Mobilitätseinschränkungen, sind ein wichtiger Arbeitsschwerpunkt.
Bei dem von kubia durchgeführten Gesangsprojekt „Polyphonie – Stimmen der kulturellen Vielfalt“ (Laufzeit 2007 bis 2010) wurden ältere Menschen mit Migrationshintergrund aus NRW eingeladen, ihr Gesangstalent in musikpädagogischen Angeboten weiterzuentwickeln und ihre kulturellen Schätze im Rahmen der Europäischen Kulturhauptstadt RUHR.2010 vor großem Publikum zu präsentieren. In der Begleitung und Evaluation des Projektes konnten vielerlei Erkenntnisse über die Kulturbeteiligung und -interessen dieser Bevölkerungsgruppe gewonnen und Erfahrungen in der methodisch-didaktischen Arbeit gesammelt werden.
Auch die „Kulturarbeit für Menschen mit Demenz „ ist ein Themenschwerpunkt, dem sich kubia widmet. Im Februar 2012 soll auf dem Fachtag „Kunststücke Demenz“ der Frage nachgegangen werden, wie kulturelle Angebote für Menschen mit Demenz aussehen könnten und wie mit Kunst und Kultur die Lebensqualität dieser Menschen und ihrer Angehörigen verbessert werden kann.
Mit dem „KulturQuartier x“ – deutschlandweit das erste Festival für Kreativität im Alter, das kubia modellhaft durchführt und begleitet – entstehen zahlreiche Möglichkeiten für Ältere, sich in und für Kultur zu engagieren und ihre Wünsche, Ideen und Erfahrungen einzubringen.
Durch die Übernahme der Koordination und Organisation der Seniorentheaterplattform NRW und mit dem Dramatikerinnenpreis „Reif für die Bühne“ engagiert sich kubia zudem in der Informations- und Vernetzungsarbeit der Seniorentheaterszene im Land.
Über Grenzen
Das Initiieren von intergenerationellen Begegnungen durch Kunst und Kultur ist ein weiterer wichtiger Baustein, der künftig auch in dem europäischen Projekt „mix@ges“ im Fokus stehen wird. Das Projekt zielt darauf ab, das kreative Potenzial neuer Medien zu nutzen, um den Dialog zwischen der jungen und der alten Generation anzuregen. Neben weiteren Institutionen aus Schottland, Österreich, Belgien und Slowenien ist kubia als Projektkoordinator an „mix@ges“ beteiligt. kubia stützt sich in seiner europäischen Zusammenarbeit auf die Erfahrungen als Koordinator des Europäischen Netzwerks für Kultur im Alter „age-culture.net“ und aus der Beteiligung an verschiedenen Projekten der Kulturellen Bildung, die von Programmen der Europäischen Union gefördert wurden. Seine Expertise zu internationalen Aktivitäten und zu europäischen Förderstrukturen stellt kubia Akteuren hierzulande zur Verfügung.
Die Arbeit des Kompetenzzentrums der vergangenen vier Jahre hat gezeigt, dass der Bedarf an Informationen, Beratung, Qualifizierung und Vernetzung im Themenfeld „Kultur und Alter“ hoch ist und stetig weiter wächst. Das bestärkt das kubia-Team darin, mit seinen Ideen weiterhin Türen und Räume für ein kreatives Altern zu öffnen.