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  • Porträt

Schutztiere mit dickem Fell – Ein Porträt über die Künstlerin Bärbel Lange

von Almuth Fricke und Isabell Rosenberg

Bärbel Lange ist eine Künstlerin, deren Werk tief in ihren persönlichen Erfahrungen und ihrem sozialen Engagement verwurzelt ist. Sie hat sich in den letzten Jahren einen Namen in der Kunstszene gemacht. Bekannt wurde sie durch ihre großen Wandteppiche aus Malervlies. Ihr Atelier ist im Kunsthaus KAT18 in Köln. Lange schätzt das kollaborative künstlerische Arbeiten mit gesellschaftlich marginalisierten Gruppen und realisiert raumgestaltende Projekte in Zusammenarbeit mit Architekt*innen und anderen Künstler*innen. Almuth Fricke und Isabell Rosenberg von kubia haben die Künstlerin für das Magazin Kulturräume+ porträtiert.

Lange wurde in Hamburg geboren und ist dort aufgewachsen. Ihre Kunstwerke reflektieren oft die Themen Heimat und Schutz, was sich besonders in ihren großflächigen Wandteppichen zeigt. Die Teppiche, die sie aus weggeworfenen Materialienkreiert, symbolisieren für sie nicht nur ihre Herkunft, sondern auch ihre künstlerische Reise, die sie schließlich nach Köln geführt hat. Denn bevor Lange zur Kunst fand, hat sie viele Jahre auf der Straße gelebt. In Köln fand die heute 60-Jährige eine neue Heimat und ein kreatives Umfeld im Kunsthaus KAT18. Dieses Kunstatelier bietet Künstler*innen mit Assistenzbedarf professionelle Arbeitsbedingungen, die ihre Lebensbedingungen in der Gesellschaft verbessern sollen. Bärbel Lange, die dort seit zehn Jahren einen festen Arbeitsplatz hat, nutzt die inspirierende Umgebung, um außergewöhnliche Kunstwerke mit oft sozialen und ökologischen Botschaften zu schaffen.

Jagen und Gejagtwerden

Auf ihren großformatigen Wandteppichen widmet sie sich zum Beispiel dem Motiv des Jagens und Gejagtwerdens. In einer Ausstellung in der Kölner Kulturkirche Ost (2016) flankierten ihre Werke die Wände der Kirche und entführten die Betrachter*innen in eine Welt der Bedrohung sowie des Schutzes. Die Künstlerin engagiert sich besonders für wohnungslose Menschen. Für Obdachlose vom Kölner Neumarkt hat sie im vergangenen Jahreinen Workshop im Kunstmuseum Kolumba gegeben. Gerade für diese Menschen schafft die Künstlerin ihre Schutztiere, denn sie hat in ihrem Leben erfahren, wie es ist, ungeschützt, wehrlos und ausgeliefert zu sein: „Dass die auch gewärmt sind. Außen ist das Fell. Dickes Fell. Dass das auch schützt“, wünscht sich Bärbel Lange. Die Motivation für ihr Engagement ist eindeutig: „Weil ich ja auch Jahre lang auf der Straße gelebt habe und deshalb will ich die Leute mitnehmen, dass die dann von der Straße wegkommen. Nur wenn sie wollen. Sie sollen das von sich selbst aus machen.“ Denn wie schwer es ist, jemanden, der lange auf der Straße gelebt hat, wieder in eine Wohnung zu bringen, weiß sie aus eigener Erfahrung.

Soziale Gerechtigkeit

Durch ihr Engagement für marginalisierte Gruppen und ihre Fähigkeit, Kunst als Mittel für soziale Veränderung einzusetzen, zeigt sich Bärbel Lange heute als eine Künstlerin, die sich intensiv mit Themen wie soziale Gerechtigkeit, kulturelle Identität und Nachhaltigkeit auseinandersetzt. Auch ihre viel beachtete diesjährige Ausstellung im Kunstverein Braunschweig kreiste unter dem Titel „Doppellinien“ (2024) um diese Themen. Das zentrale Motiv ihrer Kunst sind die Tiere, die ihr sehr am Herzen liegen. „Die Menschen müssen wissen, dass die Tiere einen beschützen und dass sie auch lebenswert sind, dass man sie nicht einfach totmachen darf. Denn sie tun ja keinem was, wenn man ihnen nichts tut. Und deshalb setze ich mich für die Tiere ein.“ So baumeln im barocken Rondell des Kunstvereins Ratten aus Malervlies als überlebensgroßes Mobile von der Decke. Das waren ihre persönlichen Schutztiere, als sie noch „Platte gemacht hat“, so Lange. Daneben stehen Elefanten, Giraffen, Zebras, Nashörner, Krokodile, Fische, Schlangen und deren Jungtiere im Zentrum ihres künstlerischen Kosmos. Regelmäßig fährt Bärbel Lange mit ihren Atelier-Kolleg*innen in den Kölner Zoo, um dort Skizzen zu machen. Solche Zeichnungen waren auch Vorlage für eine Tattoo-Aktion im Rahmen der Braunschweiger Ausstellung. Auch Lange hat sich dort nach eigener Vorlage das erste Tattoo stechen lassen – ein Fisch, der für sie auch den Kampf gegen die Vermüllung unserer Gewässer symbolisiert.

Transformation und Heilung

Die persönlichen Erfahrungen, die sich in Langes tiefgründigem Werk widerspiegeln, machen ihre Kunst zugänglich. Sie erkundet die Wirkungen von Diskriminierungs- und Marginalisierungserfahrungen, aber auch die Möglichkeiten von Transformation und Heilung. Wichtig ist ihr dabei die enge Verbindung von Natur und Kunst. Ein besonderes Beispiel hierfür ist ihre ständige Installation „Schlange“ (2019), die in der Temporary Gallery Köln ausgestellt ist. Auf einem raumgreifenden Vorhang, der den Ort nach außen abschirmt, ist eine meterlange Schlange im Foyer des Braunschweiger Kunstvereins abgebildet. Als Krafttier symbolisiert sie Transformation und Heilung. Auch hier sind es die scheinbaren Widersprüche, welche die Künstlerin interessieren, und die unterschiedlichen Bedeutungen, mit denen Tiere symbolisch aufgeladen werden: Was manchen Menschen Angst macht, kann für andere Hilfe und Geborgenheit bedeuten. Für Transformation steht auch die künstlerische Karriere von Bärbel Lange. Parallel zu der großen Einzelausstellung in Braunschweig sind Arbeiten von ihr von der Sammlung Zeitgenössischer Kunst der Bundesrepublik Deutschland angekauft worden: „Kann ich echt stolz sein, dass ich das so weit geschafft habe, alle Achtung!“, freut sie sich. Orte wie das Kunsthaus KAT18, an denen Menschen mit Beeinträchtigung die Möglichkeit bekommen, eigenständig und selbstbestimmt ihre Kunst zu machen, sind für einen erfolgreichen Weg wie der von Bärbel Lange unerlässlich. Diese Orte kann es nicht genug geben.

Weitere Informationen

www.kunsthauskat18./ateliers/baerbel-lange

 

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