Vom anderen Stern? Qualitäten kooperativer Prozesse
Miriam Haller fragt danach, wie Kooperationen in der Kulturgeragogik gestaltet sein sollten, damit sich ein gemeinsames Verständnis von Qualität entwickeln kann.
Die Zusammenarbeit über Sektoren und Professionen hinweg ist für gute kulturelle Bildungsangebote für ältere Menschen unerlässlich. Worauf es ankommt, damit der Wunsch nach Kooperation nicht dem Frust weicht, darum ging es am 7. November in Münster.
Rund 60 Besucher*innen waren der Einladung zur 7. Fachtagung Kunst- und Kulturgeragogik in die Akademie Franz Hitze Haus in Münster gefolgt, darunter zahlreiche Absolvent*innen der Zertifikatskurse Kunstgeragogik und Kulturgeragogik. Auch die anwesenden Teilnehmerinnen der aktuellen Kulturgeragogik-Weiterbildung wurden herzlich in die „Familie“ der Kunst- und Kulturgeragog*innen aufgenommen.
Unter dem Titel „Kooperativ! Qualitäten von multiprofessioneller Zusammenarbeit in der Kunst- und Kulturgeragogik“ diskutierten die Teilnehmenden, wie sektorenübergreifende Kooperationen zum Beispiel zwischen Kulturgeragog*innen und Einrichtungen aus Bildung, Pflege und sozialer Arbeit gelingen und gute kunst- und kulturgeragogische Praxis ermöglichen können. Den Einstieg ins Tagungsthema lieferte kubia-Mitarbeiterin Dr.in Miriam Haller. Kooperation fühlen sich manchmal an „wie eine Reise zu einem anderen Stern“, so Haller. Verschiedene Fachlogiken, Ausdrucksweisen, Regeln, Zwänge und Qualitätsvorstellungen können ein gemeinsames Verständnis erschweren und zu Missverständnissen führen.
Ein Problem sieht Haller in sogenannten „operativen Inseln“, wie die Netzwerkforschung sie für Kooperationen in anderen Bereichen beschreibt. Solche „Inseln“ können auch in Kooperationen der Kulturgeragogik durch strukturelle Barrieren und Hierarchien entstehen und die Zusammenarbeit behindern. Haller verwies auf Erkenntnisse aus der Netzwerkforschung, die zeigen, dass Brücken gebaut werden müssen und eine stärkere Ausrichtung an den Bedürfnissen der Zielgruppen helfen kann, diese Barrieren zu überwinden. Wichtig sei zudem, immer wieder einen Perspektivwechsel zu versuchen und sich bewusst in die Rolle des jeweils anderen hineinzuversetzen, um dessen Arbeitsweise und Ziele besser zu verstehen. So könnten stereotype Vorannahmen voneinander abgebaut werden.
Miriam Haller empfahl außerdem den kubia-Qualitätsstern als Ausgangspunkt für eine gemeinsame Qualitätsentwicklung unter Kooperationspartner*innen. Dieses von kubia entwickelte Instrument macht die besonderen Qualitäten sichtbar, die sich in der kulturgeragogischen Praxis entfalten können.
Als roter Faden zogen sich Parallelen zu Antoine de Saint-Exupérys „kleinem Prinzen“ durch Miriam Hallers Vortrag: Von ihm könne man lernen, dass erfolgreiche Kooperationen Geduld und die Bereitschaft erfordern, sich auf das „Fremde“ einzulassen. Kunst- und Kulturgeragog*innen seien mit ihrem interdisziplinären Vorwissen ideale „Grenzgänger*innen“, die Brücken bauen und den Dialog zwischen den „Welten“ von Kunst und Kultur, Kultureller Bildung, Sozialer Arbeit und Pflege in Gang bringen könnten.
Als besonders herausfordernd gelten unter Kunst- und Kulturgeragog*innen Kooperationen mit der stationären Pflege. Welche Fallstricke hier lauern und warum die Mühe sich trotzdem lohnt – darum ging es anschließend mit der Künstlerin und Theaterpädagogin Beáta Nagy. In ihrem lebendigen Vortrag berichtete sie von ihren Erfahrungen aus der theaterpädagogischen Arbeit in mehreren Pflegeeinrichtungen und ihren zum Teil unkonventionellen Herangehensweisen, die zum Gelingen beitragen können. Diese Erfahrungen sammelte sie in dem vom Verband der Ersatzkassen e. V. (vdek) geförderten Kooperations- und Forschungsprojekt „Prävention Kreativ!“, das herausfinden will, wie die Gesundheit von älteren Menschen in Pflegeeinrichtungen durch Kunst- und Kulturangebote gestärkt werden kann.
Wenn es in der Einrichtung allerdings keine Person gebe, die „der Künstlerin die Hand reicht“ und sie „durch eine Seitentür“ in die Einrichtung hineinziehe, dann sei ein Scheitern der Kooperation wahrscheinlich, so Beáta Nagy. Auch Rahmenbedingungen wie der richtige Zeitpunkt im Tagesablauf – ihrer Erfahrung nach ist das der späte Vormittag –, ein geeigneter Raum und nicht zuletzt die Stimmigkeit von Methoden und Inhalten sind entscheidend für das Gelingen einer Kooperation mit einer stationären Pflegeeinrichtung.
Die anschließende Gesprächsrunde knüpfte unmittelbar an die beiden Vorträge an und ging vertiefend der Frage nach, was zum Gelingen von Kooperationen zwischen Pflege und Kulturgeragogik beitragen kann. Dabei brachten die Teilnehmerinnen vielfältige Perspektiven aus Forschung und Praxis ins Gespräch ein.
Einig waren sich die Gesprächspartner*innen darin, dass der ökonomische Druck insbesondere in Einrichtungen in kommerzieller Trägerschaft sowie die personelle Fluktuation und der Personalmangel in Pflegheimen und Tagespflege-Einrichtungen den Aufbau verlässlicher Kooperationsbeziehungen erschweren. Die Gerontologin Dr.in Elke Olbermann sagte, es gelinge nicht immer, die Mitarbeitenden einer Einrichtung mitzunehmen und deren Arbeit mit der kulturgeragogischen Arbeit zu verbinden, und warb um Verständnis für die Pflege- und Betreuungskräfte: „Wer von außen kommt, bringt entweder Kontrolle oder Entlastung“ – das Prinzip der Kooperation sei oft gar nicht bekannt. Sie empfahl Kunst- und Kulturgeragog*innen, aktiv auf das Personal zuzugehen. Gerade in der Hierarchie weit unten angesiedelte Betreuungskräfte würden sich oft nicht trauen oder in der Rolle sehen, sich aktiv in kulturelle Projekte einzubringen.
Allerdings sei es wichtig, als Kulturgeragog*in kein fertiges Konzept mitzubringen, sondern mit allen Beteiligten, also auch mit den älteren Menschen selbst, ein Projekt partizipativ zu entwickeln. Auch gelte es, die Anliegen und Prinzipien des kulturgeragogischen Arbeitens niederschwellig zu erklären.
Die Kulturgeragogin Jutta Schmidt berichtete, ihre intergenerationelle kulturgeragogische Arbeit werde vom Personal und auch auf Leitungsebene der Einrichtungen oft wenig wahrgenommen und anerkannt, obwohl der Gewinn für die Beteiligten offensichtlich sei. Cornelia Harrer vom Paritätischen fragte, ob nicht bereits der Raum, der für Projekte geboten werde, eine Wertschätzung der kulturgeragogischen Arbeit sei, und spielte damit bewusst provokant auf ein mögliches erhöhtes Geltungsbedürfnis von Künstler*innen an. Jutta Schmidt unterstrich, dass es ihr nicht um Aufmerksamkeit für ihre Person gehe, vielmehr wünsche sie sich, dass die künstlerischen Leistungen der beteiligten Kinder und Senior*innen größere Wertschätzung erführen.
Sabine Resch-Hoppstock, die als zertifizierte Kunstgeragogin und Leiterin einer Pflegeeinrichtung beide Seiten kennt, betonte, dass es wichtig sei, auf alle Leitungsebenen – von Pflegedienst, sozialem Dienst und der gesamten Einrichtung – aktiv zuzugehen und diese „ein Stück weit festzunageln“. Hilfreich sei natürlich auch, wenn man nicht nur Ideen, sondern auch etwas Geld mitbringe. In vielen Kommunen gebe es Fördermittel für die Seniorenarbeit, die für die Arbeit in Pflegeeinrichtungen genutzt werden könnten. Dies sei aber in den Einrichtungen oft gar nicht bekannt oder der Zusatzaufwand, diese Mittel zu beantragen und Verwendungsnachweise zu schreiben, werde gescheut. Christine Ullerich vom Regionalbüro Alter, Pflege, Demenz Bergisches Land ergänzte, dass nicht nur Geld, sondern auch eine emotionale Beteilung des Gegenübers Türen öffnen könne.
Um erfolgreich verlaufene Kooperationsprojekte ging es auch am Nachmittag in zwei Workshops. Melanie Plumpe von der Musikschule für den Kreis Gütersloh und Karin Sporer vom Theater Gütersloh stellten das Kooperationsprojekt „Erinnerungsstücke – Trautes Heim“ vor, das 2024 aus dem Fonds Kulturelle Bildung im Alter gefördert wurde. Bemerkenswert fanden die Teilnehmer*innen, dass hier engagierte Vertreter*innen aus Musikschule, Theater, dem Fachbereich der Senioren- und Behindertenarbeit sowie die Konzertpädagogin und Musikvermittlerin Stephanie Riemenschneider das Projekt gemeinsam konzipiert und umgesetzt haben. Melanie Plumpe resümierte im Workshop: „Das Projekt Erinnerungsstücke war deshalb so erfolgreich, weil alle Kooperationspartner*innen es wollten und wussten, warum wir es durchführen!“ Das Team aus Kultur und Stadt suchte wiederum die Zusammenarbeit mit Senior*innen-Heimen. Als wichtige Gelingensbedingungen benannten sie die persönliche Kontaktaufnahme sowie im weiteren Projektverlauf feste Ansprechpartner*innen auf beiden Seiten. In einem Planspiel entwickelten die Teilnehmer*innen anschließend Szenarien erfolgreicher Vernetzung und visualisierten sie.
Im Workshop „Alter Falter – Zutaten für kooperatives Arbeiten im Stadtteil“ stellte die Kunstgeragogin, Künstlerin und Demenzbegleiterin Andrea Lehmann das Münsteraner Projekt „Alter Falter“ vor, das im Rahmen der Malteser-Initiative „Miteinander – füreinander“ über mehrere Jahre Schüler*innen einer Grundschule und Bewohner*innen eines Pflegeheims über die kreative Arbeit zum Thema Einsamkeit zusammenführte. In ihrem mit zahlreichen Fotos illustrierten Vortrag machte die Initiatorin des Projekts anschaulich deutlich, was für das Gelingen eines solchen Kooperationsprojekts neben kreativen Ideen vonnöten ist: Netzwerkaufbau und -pflege, intensive Öffentlichkeitsarbeit, um die Wahrnehmung des Projekts zu fördern, Geduld und eine gute Finanzierung. Im praktischen Teil konnten die Workshop-Teilnehmer*innen Ideen für ein eigenes Kooperationsprojekt entwickeln und mit Hilfe von Bauklötzen und Zeichnungen zumindest schon in der Theorie umsetzen.
Unter dem Titel „Mit Kindern über Einsamkeit sprechen“ hat Andrea Lehmann praxisnahe Anregungen für Unterricht und OGS-Betreuung zu ressourcenorientiertem Umgang mit Einsamkeitsempfinden veröffentlicht. Die Broschüre mit Geschichten, Kreativ-Aktionen und Impulsen für intergenerationelle Projektarbeit steht auf der Website der Malteser Münster zum kostenfreien Download zur Verfügung.
Parallel zu den beiden Workshops bot Nina Lauterbach-Dannenberg vom Kuratorium Deutsche Altershilfe einen „Think Tank“ an. Dessen Ziel war es, gemeinsam herauszuarbeiten, wie kulturgeragogische Arbeit durch Kooperationen effektiv gefördert werden kann. Dazu hatte der Fachverband Kunst- und Kulturarbeit Vorarbeit geleistet und in seinen Regionalgruppen erste Überlegungen zu Papier gebracht. Nina Lauterbach-Dannenberg stellte die Ideen der Regionalgruppen komprimiert vor und lud die Workshop-Teilnehmende ein, daran anknüpfend tragfähige und innovative Kooperationsstrategien zu entwickeln. Die Ergebnisse des Think Tanks sollen demnächst in Form eines Handlungsleitfadens für die Zusammenarbeit von Akteur*innen aus Kultur und Altenhilfe veröffentlicht werden.
Die 7. Fachtagung Kunst- und Kulturgeragogik war eine gemeinsame Veranstaltung von kubia und der Akademie Franz Hitze Haus. Kooperationspartner waren der Fachverband Kunst- und Kulturgeragogik und das Netzwerk Demenz und Kulturelle Teilhabe NRW.