Dance Your Skin – Ein Plädoyer für sichtbares Alter
Mit den Künstlerinnen der interdisziplinären Performance „DanceYourSkin“ traf sich kubia-Mitarbeiterin Imke Nagel nach einer Aufführung in den Kölner ehrenfeldstudios zum Gespräch.
Auslöser für das Fotografie- und Biografie-Projekt von Jess T. Dugan und Vanessa Fabbre war die Einsicht, dass positive Bilder von älteren Trans*- und Inter*-Personen in der Gesellschaft immer noch rar sind. Auch deren vielfältige Lebensentwürfe sind in der Gesellschaft wenig sichtbar. Der Fotoband „To Survive on This Shore“ gibt Einblicke in 90 Jahre gelebte Erfahrungen von älteren Trans*- und Inter*-Personen in den USA.
„Ich wusste, dass ich möglicherweise meine Familie verlieren würde und dass die Leute mich vielleicht ablehnen würden. Aber ich wog das ab und dachte: ‚Wenn ich alles und jeden verliere, mich aber behalte, ist das alles, was zählt.‘“ So beginnt die 69-jährige Duchess Milan aus Los Angeles die Erzählung ihrer Transition. Sie habe ihr ganzes Leben lang immer gehört: „So ist es. Wenn du Tomaten pflanzt, wirst du Tomaten ernten. Pflanze keine Paprika an und erwarte dann Tomaten. Aber so viele Leute tun das! Und dann landen sie bei den Paprika und sagen: Na ja, das gefällt mir nicht. Natürlich nicht, Schatz, denn du wolltest Tomaten essen. Deshalb strebe immer nach dem, von dem du weißt, dass du es fühlst!“
Die Fotografin Jess T. Dugan und die Sozialwissenschaftlerin Vanessa Fabbre sind über fünf Jahre hinweg durch die USA gereist, um für ihr Buch „To Survive on This Shore“ Einblicke in 90 Jahre gelebte Erfahrungen von älteren Trans*- und Inter*-Personen in den USA zu sammeln. Der kunstvoll gestaltete Bildband trägt zur Sichtbarkeit der Queer Community bei, indem er die individuelle Vielfalt von Lebensgeschichten in Fotografien und biografischen Interviews festhält. Die älteste Person, die im Band mit Bild und Text vertreten ist, ist 90 Jahre alt, die jüngste 50. Damit gibt das Projekt auch einen Einblick in die Historie und den Aktivismus rund um Gender- und Geschlechteridentitäten, sexuelle Identitäten, Rassismus, Klassismus und Altersdiskriminierung in den USA.
Auch in Deutschland sind die heute älter werdenden Trans*- und Inter*-Generationen von einer langen Geschichte der Stigmatisierung, Pathologisierung bis hin zur Kriminalisierung geprägt. Bieten zwar gesetzliche Regelungen inzwischen mehr Schutz gegen Diskriminierungen, nehmen Anfeindungen und Gewalt gegenüber LSBTIQ-Personen dennoch wieder zu. Der Blick auf Trans*-Frauen, Trans*-Männer und Inter*-Personen ist heute noch oft durch eine klinisch-medizinische Perspektive bestimmt, durch die sie vornehmlich als Abweichung von der vermeintlichen Norm der Mehrheitsgesellschaft erscheinen.
Ziel von Dugan und Fabbre ist es, die individuellen Geschichten, Probleme und Hoffnungen von älter werdenden Trans* und Inter*-Menschen mehr in das gesellschaftliche Bewusstsein zu rücken. Vor allem wollen sie aber auch jüngeren Trans*- und Inter*-Personen Vorbilder geben, indem sie die persönlichen Lebenswege, die Kämpfe und Freuden, aber auch den Humor der Älteren dokumentieren. SuZie (51) und Cheryl (55) waren schon lange vor der Operation von SuZie verheiratet. Die vorherige jahrelange Selbstverabreichung von Hormonen verursachte bei SuZie Komplikationen, die ihre Chance auf eine Operation gefährdete. Doch sie sagte zu Cheryl: „Ich werde als Frau sterben. Nichts kann diese Operation aufhalten.“ Nach der Transition geht es SuZie in vielerlei Hinsicht besser als jemals zuvor. Ihre Frau Cheryl beschreibt, wie SuZie erst danach wirkliches Glück und Zufriedenheit in ihrem Leben finden konnte. Beide erzählen, wie sie gemeinsam nach und nach einen ganz neuen Lebensstil entwickeln – mit aller Freude, aber auch mit Ängsten und Zweifeln. Cheryl hält nicht zurück, welchen Lernprozess sie selbst durchlaufen hat: „Ich war immer heterosexuell, nie lesbisch. Wir sagen, dass ich durch Zermürbung lesbisch geworden bin.“ Auf die Frage nach ihren Wünschen für die Zukunft lacht Cheryl: „Vielleicht, dass SuZie morgens ein wenig schneller mit ihrem Make-up fertig wird.“
„Trans*“ ist ein Sammelbegriff, der unterschiedliche geschlechtliche Selbstidentifikationen zusammenfasst, wie unter anderem transgender, genderqueer, transsexuell, nicht binär oder transident.
Der Begriff „Inter*“ umfasst die Vielfalt intergeschlechtlicher und intersexueller Lebensrealitäten und bezieht sich auf Menschen, die körperliche Merkmale haben, die nicht eindeutig oder ausschließlich dem weiblichen oder männlichen Geschlecht zugeordnet werden (vgl. Zeyer et al. 2020).
Jess. T. Dugan, Vanessa Fabbre (2022): To Survive on This Shore: Photographs and Interviews with Transgender and Gender Nonconforming Older Adults. Heidelberg: Kehrer.
Tamara-Louise Zeyer, Ralf Lottmann, Regina Brunnett, Mechthild Kiegelmann (Hrsg.) (2020): LSBTIQ* und Alter(n). Ein Lehrbuch für Pflege und Soziale Arbeit. Göttingen: V&R.
Rubicon (Hrsg.) (2021): Kleine Hausapotheke gegen den cis-normativen Alltag. Köln: Eigenverlag.