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Sing, Sing, Sing! Community Music am Konzerthaus Dortmund
kubia-Mitarbeiter Christoph Brammertz stellt das Dortmunder Community-Music-Programm für Menschen ab 60 vor.
Die Theatermacher*innen Stefan Mießeler, Laura Marleen Kreutz und Florian Parker befragten ältere Hundebesitzer*innen zu ihrem Leben mit Hund und ihrem finanziellen Auskommen. Mit einigen entwickelten sie einen Audio-Walk entlang ihrer täglichen Gassi-Runde. Nur wenige Steigungen, dafür aber viele Einblicke und Gedankenanstöße bot die Runde mit Hundebesitzerin Rosemarie Westerhold, ihrer Hündin Dolly und den drei Performer*innen. kubia-Mitarbeiterin Imke Nagel nahm als Teilnehmerin des Walks selbst auch einen imaginären Hund an die Leine und sprach mit Projektleiter Mießeler über die Entstehung der „Hundstage“.
An einem warmen Sonntagnachmittag startet der Audio-Walk auf einem Supermarkt-Parkplatz in Bielefeld-Uerentrop. Stefan Mießeler und Florian Parker sind mit ihren orangefarbenen Westen gut als Team-Mitglieder zu erkennen und statten die Teilnehmer*innen mit Kopfhörern aus. Als der Walk startet, wechselt der Ton von Musik zu Bellen und Knurrgeräuschen. Die Theatermacher leiten die Gruppe zunächst in eine schmale Wohnstraße, wo sie auf ihre Kollegin Marleen Kreutz sowie auf Rosemarie Westerhold mit ihrer Hündin Dolly treffen. Zum Party-Hit „Who Let the Dogs Out?“ von Baha Men stimmt Kreutz die Teilnehmer*innen auf den Walk ein. Pantomimisch leinen sie ihre imaginären Hunde an und tüten Häufchen ein. Danach beginnt die Gassi-Runde im Tempo von Hündin Dolly, ganz gemächlich. Die fast 85-jährige Besitzerin erklärt, Dolly sei ein alltagserprobter und für das Leben im Alter geeigneter Griffon Vendéen. Nicht zu fordernd verhelfe die Hündin ihr doch zu täglicher Bewegung und bewahre sie vor Einsamkeit. Die beschauliche Gassi-Runde steht im Kontrast zum Inhalt des lockeren Frage- und Antwort-Dialogs zwischen Kreutz und Westerhold rund um schwierige Themen wie Tod, Verlust und Einsamkeit.
Westerholds Mann und beide Söhne sind bereits verstorben. Unterbrochen von einem „Nein, Dolly, wir gehen noch nicht nach Hause“ erzählt die Rentnerin, wie sie im Alter von 35 Jahren zum ersten Mal „auf den Hund kam“. Dolly ist ihr achter Hund. Westerhold hofft, dass die 12-Jährige, deren prognostizierte Lebenserwartung bei eben diesem bereits erreichten Hundealter liegt, noch ein, zwei Jahre weiterlebt. Danach würde sich die 85-Jährige – selbst wenn man ihr noch einen verkaufen würde – keinen Hund mehr anschaffen. Sie wolle dem Tier nicht den Tod seiner Besitzerin zumuten. Zeit für einen Halt. Dieser bietet auch den Teilnehmer*innen die Möglichkeit, mit Rosemarie Westerhold ins Gespräch zu kommen. Einige erzählen von ihren eigenen Erfahrungen mit dem Tod ihrer Hunde, der Erinnerung daran, wie es ist, ein Tier einschläfern zu lassen und von Formen der Trauer und der Beerdigung.
An einer Hofeinfahrt auf der Gassi-Route steht heute ausnahmsweise kein Hund, um von Westerhold ein Leckerli zu ergattern. Es sei ihm sicher zu heiß, so Westerhold. Im nächsten Moment hört die Gruppe über den Kopfhörer einen Monolog zur Beziehung von Hund und Mensch, aus der Perspektive von Dolly. Neben dieser Beziehung und dem Thema Einsamkeit ist Altersarmut ein Leitmotiv des Audio-Walks. Denn oft korrelieren Einsamkeit und Armut: Es mangelt an finanziellen Mitteln etwa, um andere zum Essen einzuladen oder Eintrittsgelder für Veranstaltungen zu bezahlen. Dies führt nicht selten zum sozialen Rückzug (vgl. Huxhold/Bünning/Simonson 2023). Für Hundebesitzer*innen mit wenig Geld verteilt der Tiertisch Bielefeld e. V. kostenfrei Tierfutter. Im Interviewmitschnitt mit der Ersten Vorsitzenden Yvonne Fischer erfährt die Audio-Walk-Gruppe, dass viele Tafel-Nutzer*innen durch psychische oder andere Erkrankungen in finanzielle Not geraten. Oft habe ihr Haustier eine psychisch stabilisierende Funktion. Einige Male habe Fischer den Satz „Hätte ich mein Tier nicht, würde es mich gar nicht mehr geben“ gehört.
Um für das Phänomen Altersarmut zu sensibilisieren, wollte das Team um Mießeler ursprünglich während des Audio-Walks mit den Hundebesitzer*innen über die Auswirkungen ihrer finanziellen Lage auf das Leben sprechen. Sie suchten Interessierte über einen Aufruf in der Zeitung sowie über den Tiertisch Bielefeld. „Sie haben alle total bereitwillig mit uns gesprochen. Aber als es dann darum ging, diesen Walk zu machen, haben wir gespürt, dass sie eigentlich nicht möchten,“ so Mießeler. Die Performer*innen entschieden sich gegen eine Offenlegung der finanziellen Verhältnisse der Hauptprotagonist*innen der Walks. Sie wollten keine »Betroffenen-Schau« konzipieren. Gleichzeitig bedauert Mießeler, dass das Thema Armut so schambesetzt ist: »Ich glaube, gerade das Offenlegen könnte eine gesellschaftliche Veränderung bringen«, betont er.
An einem Grünstreifen bittet Tourguide Kreutz die Teilnehmer*innen, sich entsprechend der Höhe ihrer Rente bzw. ihrer voraussichtlichen Rentenerwartung von links (sehr wenig) nach rechts (ab 2.500 Euro aufwärts) aufzustellen. Ein Student positioniert sich weit links, weil er mit der Wahl seiner Ausbildung im Kulturbereich voraussichtlich nicht viel verdienen werde. Eine Lehrerin erklärt, dass sie sich aufgrund ihres Beamtenstatus und der damit verbundenen Altersversorgung weit rechts sieht. Auch zum Thema Einsamkeit sollen sich die Teilnehmer*innen positionieren. Etwa die Hälfte der Gruppe stellt sich auf die linke Seite, die für Angst vor Einsamkeit steht.
Die Theatermacher*innen haben in Vorbereitung der Audio-Walks mit vielen Hundebesitzer*innen gesprochen, darunter von Altersarmut Betroffene ebenso wie finanziell Gutgestellte. Alle beschäftigte ähnliche Themen im Zusammenhang mit ihren Hunden. Sie unterschieden sich jedoch in ihrer Biografie hinsichtlich ihrer Erwerbsarbeit oder ihrem Anteil an Pflege- oder Sorgearbeit. Je nach beruflicher Tätigkeit variierte die entsprechende Rente der Befragten. „Und natürlich sind dann auch häufiger Frauen von Altersarmut betroffen“, so Mießeler, „weil wir Care nicht richtig als Gesellschaft ehren. Das ist ein gesellschaftliches Problem und auch der Mangel an Solidarität für verschiedene Formen von Arbeit.“ Während die Teilnehmer*innen des Walks im Schatten weiterspazieren, hören sie den Erklärungen Barbara Eiferts von der Landesseniorenvertretung NRW zu, wie sich das Problem der Armut durch alle Altersgruppen zieht. Die Beraterin für Seniorenvertretungen kritisiert die mediale Heraufbeschwörung eines Generationenkonflikts, die vom eigentlichen sozioökonomischen Konflikt und möglichen Lösungen ablenke.
Eine Stimme im Kopfhörer fragt die Teilnehmer*innen schließlich: Hast du Angst, alt zu werden? Dass du allein bist? Werden Menschen zu dir kommen, um mit dir Zeit zu verbringen und deinen Geschichten zu lauschen? Hast du Angst, dass du dir nicht mehr alles leisten kannst. Dass du aufs Geld gucken musst? Wirst du eine neue Sprache lernen, in den Tag reinleben? Wirst du an einer großen Tafel sein, und alle deine Freundinnen sitzen dort, und ihr trinkt Kaffee und esst leckeren Kuchen? Heute endet der Spaziergang in geselliger Runde. In einer Seitenstraße wartet auf die Teilnehmer*innen solch eine Tafel; ein festlich gedeckter Tisch, an dem die Theatermacher*innen selbstgebackenen Kuchen und Kaffee servieren. Gemeinsam mit den Performer*innen, Dolly und Westerhold sitzen dort alle noch eine ganze Weile zusammen. Die Walks möchte Mießeler gerne weiterhin durchführen. Das Format sei gut adaptierbar für weitere Bielefelder Stadtteile. Doch merken die Initiator*innen der »Hundstage«, dass sie eigentlich in Relation zu ihrem Honorar schon zu viel gearbeitet haben. Bei der Abfrage der voraussichtlichen Rentenerwartung hatte sich Theatermacher Parker selbst ganz links bei den Niedrigverdienenden aufgestellt. „Warum stehst du hier?“, wurde der Mitvierziger gefragt. Seine Antwort: Der Rentenbescheid prognostiziere ihm aktuell 250 Euro. Insofern ist der Audio-Walk auch ein Forschungsprojekt zu den Zukunftserwartungen des Künstler*innen-Teams selbst.
Oliver Huxhold/Mareike Bünning/Julia Simonson (2023): Der Zusammenhang zwischen sozialer Ungleichheit im Einkommen und sozialer Integration in der zweiten Lebenshälfte. Berlin: Deutsches Zentrum für Altersfragen.