Warum nimmt die Stadt Helsinki insbesondere das Alter in den Blick?
Helsinki ist eine alternde Hauptstadt. Im Jahr 2030 werden schätzungsweise etwa 20 Prozent der Einwohner*innen über 65 Jahre alt sein. Es ist daher Konsens, dass sowohl strategische als auch praktische Maßnahmen zur Sicherstellung des Wohlbefindens älterer Menschen von höchster Dringlichkeit sind.
Zahlreiche Studien haben zudem gezeigt, dass ältere Menschen – was ihr Recht auf kulturelle Teilhabe betrifft – benachteiligt sind. Veränderungen sind erforderlich.
Das Wohlergehen älterer Menschen ist sowohl in der kommunalen Strategie (für die Jahre 2022-2025) als auch im Plan zur Förderung von Gesundheit und Wohlbefinden beschrieben. Solch ein strategischer Ansatz sowie eine geeignete Infrastruktur sind von wesentlicher Bedeutung: Denn wenn Ziele organisationsübergreifend definiert, festgeschrieben, evaluiert und bewertet werden, stärkt dies das Engagement in der gesamten Stadtorganisation.
Wie gehen Sie in der Abteilung Kultur und Freizeit mit dem Thema Altern um?
In Helsinki befassen wir uns mit dem Wohlergehen älterer Menschen aus vielen Perspektiven, nicht nur aus der kulturellen. Unser Ansatz ist ganzheitlich. Dafür ist die ressortübergreifende Zusammenarbeit wesentlich. Wir arbeiten mit allen Abteilungen der Stadt in vier Bereichen zusammen: 1. Entwicklung von Angeboten für Ältere im Wohnumfeld (z. B. Aktivitäten in lokalen Bibliotheken und Kulturzentren); 2. Datensammlung und Wissenstransfer (denn ältere Menschen sind sehr unterschiedlich, auch in ihren Bedürfnissen); 3. Entwicklung von Förderinstrumenten (sowohl zur Finanzierung eigener Angebote als auch zur Zuschussvergabe); 4. Ausbau der Infrastruktur und Zugänglichkeit von Dienstleistungen (z. B. öffentliche Verkehrsmittel, Bänke in Parks und eine barrierefreie Stadtplanung).
Im Kultursektor arbeiten wir seit über zehn Jahren mit dem Sozialbereich zusammen. Es brauchte einen langen Atem. Vor allem mussten wir Vertrauen und gegenseitiges Interesse zwischen den beiden Ressorts aufbauen.
Bei Ihnen sind eine „geteilte Mitarbeiterin“ und mehrere Kulturvermittler*innen tätig. Können Sie uns über deren Arbeit erzählen?
Die geteilte Personalstelle ist definitiv ein Erfolgsfaktor für die ressortübergreifende Zusammenarbeit. Die Ressorts verfolgen gemeinsame Werte und Ziele und können die Bedürfnisse und Bedarfe älterer Menschen besser verstehen. In Helsinki ist die unbefristete Stelle mit einer Expertin für Kreatives Alter(n) besetzt, die zu 50 Prozent zwischen der Kultur- und der Sozial- und Gesundheitsabteilung aufgeteilt und finanziert ist. Diese unbefristete Stelle wurde 2010 in Helsinki geschaffen. Heute gibt es ähnliche Stellen in vier weiteren finnischen Städten. Die Aufgaben sind hauptsächlich administrativer und strategischer Natur.
Auch die Rolle der 15 Kulturvermittler*innen ist von wesentlicher Bedeutung. Die festangestellten Mitarbeiter*innen sind als Teil von multiprofessionellen Teams aus Pflegepersonal, Sozialberater*innen, Physiotherapeut*innen und Kulturpädagog*innen in Dienstleistungszentren für ältere Menschen tätig.
Kamen die Kulturvermittler*innen zunächst aus der Sozialen Arbeit, werden seit Kurzem auch professionelle Künstler*innen eingestellt. Dadurch gelingt es, auch künstlerische Ansätze und ein künstlerisches Verständnis stärker in den Sozial- und Gesundheitsbereich zu implementieren.
Die Stadt Helsinki hat 2021 ein inzwischen zwei Millionen Euro schweres Programm zur Förderung des kreativen Alterns aufgelegt. Was sind die Ziele dieses Förderprogramms?
Der gemeinsame Zuschuss der Kulturabteilung und der Abteilung für Soziales und Gesundheit möchte das Wohlbefinden der älteren Bevölkerung Helsinkis verbessern. Die Förderung richtet sich an Projekte, die Partizipation, Zugänglichkeit und innovative Partnerschaften fördern. Das Förderinstrument soll außerdem den Dialog und das gemeinsame Verständnis zwischen den beiden Sektorenstärken.
Im Jahr 2022 finanzierte die Kulturabteilung 28 Projekte aus unterschiedlichen Sparten in Helsinki – Tanz, Zirkus, Kino, Musik, Theater, Fotografie sowie digitale Kunst und digitale Kulturangebote, lokale Kulturaktivitäten sowie Freiwilligentätigkeiten. Das Hauptaugenmerk liegt auf der Beteiligung älterer Menschen, die aktive Teilnehmende in allen Phasen der Projekte sind.
Das Zentrum für neuen Tanz Zodiak hat beispielsweise unter dem Titel „Tanzbegleiter*in“ ein Projekt ins Leben gerufen, bei dem ältere Menschen als Freiwillige zu Tanzbegleiter*innen für andere ältere, mobil eingeschränkte Menschen ausgebildet werden. Musikinstitutionen haben Bands und Chöre in den Stadtvierteln ins Leben gerufen, Zirkusvereine haben kreative Methoden für die Arbeit mit älteren Menschen mit Demenz entwickelt, Theatergruppen haben Erinnerungen zu Aufführungen inszeniert.
All diese Projekte haben älteren Menschen die Möglichkeit gegeben, sich kreativ auszudrücken, und dadurch Gefühle der Einsamkeit und Isolation verringert, das körperliche und geistige Wohlbefinden verbessert und das Selbstvertrauen wiederhergestellt.
Was sind die bisherigen Erkenntnisse und wichtigsten Erfolgsfaktoren Ihrer Strategie für kreatives Altern?
Die bereichsübergreifende Zusammenarbeit ist auf allen Ebenen von entscheidender Bedeutung für kreatives Altern. Die nachhaltige Verwirklichung gleicher kultureller Rechte älterer Menschen erfordert einen multidisziplinären Ansatz, innovative Maßnahmen und unterschiedliche Hebel.
Es gibt so viele verschiedene Elemente und Akteure, die sich auf die kulturelle Teilhabe auswirken, daher müssen wir das gesamte Ökosystem verstehen. Zusammenarbeit und Vernetzung auf vielen Ebenen können zu strukturellen Veränderungen führen, die durch Gesetze, Bildung, Forschung, Strategien, Technologien, Ressourcen, Bürgerbeteiligung angestoßen und weiterentwickelt werden.
Die Perspektive auf das Altern muss ganzheitlich sein: Es reicht beispielsweise nicht aus, sich bei Kulturprojekten auf den künstlerischen Beitrag und den Inhalt zu konzentrieren – auch Fragen der Zugänglichkeit, der Beteiligung und der Kommunikation spielen eine wichtige Rolle.
In Helsinki hat sich gezeigt: Wenn die Strukturen und Strategien klar umrissen sind, hat das Vorteile für die Praxis. Es erfordert jedoch Beharrlichkeit, Geduld und auch Kreativität, um die gemeinsamen Werte und Ziele umzusetzen und ein starkes Engagement in der gesamten städtischen Organisation aufzubauen.