Vom Altweibersommer zu Queer Ageing – Feminismus in der Kulturgeragogik
Die 26. Ausgabe des kubia-Magazins fragt, wie der Feminismus wissenschaftliche Diskurse, kulturelle Praxis und weibliche Biografien geprägt hat.
Im November 2023 zeigte die Performerin und Choreografin Lisa Thomas in den ehrenfeldstudios in Köln Teile der interdisziplinären Performance „DanceYourSkin“, die sie gemeinsam mit der Fotografin Simone Demandt und der Videokünstlerin Sabrina Schray erarbeitet hat. kubia-Mitarbeiterin Imke Nagel traf die Künstlerinnen nach der Aufführung zum Gespräch.
Vor dem Hintergrund der Kontaktbegrenzungen während der Corona-Pandemie beginnen Lisa Thomas und Simone Demandt im Jahr 2020, sich im Rahmen eines Stipendiums mit der Nähe zum eigenen Körper zu beschäftigen. Zusammen mit der Videokünstlerin Sabrina Schray untersuchen sie das Hautgewebe der heute 64-jährigen Tänzerin. Ihr Augenmerk lenken sie auf die Eigenschaften alter Haut: Durch weicheres Bindewebe verfügt das größte Organ des Körpers über vielfältigere Bewegungsmöglichkeiten und ist deutlich formbarer als in jungen Jahren.
Die Idee für den Prototyp einer Kampagne entsteht. Die Künstlerinnen produzieren Postkarten mit Fotografien, die – so Demandt – „die Verwerfungen, die skulpturalen Formen, die alte Haut herstellen kann“, abbilden. Diese unvoreingenommene und spielerische Annäherung der Künstlerinnen an Falten und Dellen, die normalerweise als Makel wahrgenommen und eher kaschiert werden, ist auch charakteristisch für die Performance „DanceYourSkin“.
Die Performance beginnt mit einer Ausstellung. Drei Fotos zeigen Lisa Thomas vor schwarzem Hintergrund im Abendkleid in Posen, die ihre Hautfalten in den Fokus des Kameraobjektivs rücken. Die ausgeprägten, feinen, geraden oder geschwungenen Linien von Armen, Ellenbogen, Gesicht, Hals und Dekolleté stehen im Zentrum der Fotografien von Simone Demandt. Neben den Fotografien hängen drei Flachbildschirme. Videos zeigen Thomas in jeweils unterschiedlichen Ausschnitten, wie sie mit nackten Beinen auf einer Vibrationsplatte steht. Die Haut ihrer Beine zittert und wackelt, während sie verschiedene Posen einnimmt. Damit korrespondiert eine zweite Videoleinwand, die großformatig Haut in der Nahaufnahme präsentiert. Diese wird von kaum sichtbaren Händen wellenförmig bewegt und zu Falten moduliert. Mit ihren feinen blau-roten Linien, Gruben und Poren erinnert das Hautgewebe an eine Meereslandschaft, in der Wellen rhythmisch auf und ab wogen.
Mit diesen Worten macht Thomas, in schwarzem Anzug und mit Hornbrille, als intellektuelle Rednerin den Auftakt zu ihrer Performance. Angelehnt an das feministische Künstlerinnen-Kollektiv Guerilla Girls stellt sie die Frage: Müssen Tänzerinnen jung und nackt sein, um ins Museum, auf die Bühne, auf den Bildschirm und in öffentliche Szenen zu kommen?
In unserem Gespräch prangert Thomas positiven Ageismus im Tanz an. Insbesondere alte Tänzerinnen würden in Choreografien meist mit Blick darauf gezeigt und rezipiert, was sie „trotz ihres Alters“ an Fähigkeiten und an Attraktivität „noch“ auf die Bühne brächten. „Dieses Versteckspiel interessiert mich einfach nicht“, so Thomas. In der Rolle der Galeristin lädt sie dazu ein, solchen idealisierten Darstellungen unangepasste Frauenkörper entgegenzusetzen: „Entdecken Sie […] die Metamorphosen von Brüsten, die die androgynen Schmetterlinge und Feen, die Schwäne und Engelchen mit der fließenden Beweglichkeit von Bindegewebe und seiner enormen Schwung- und Vibrationskraft aus ihren Kategorien spülen.“ Thomas hebt ihren – unter einem beigefarbenen, enganliegenden Oberteil liegenden – Busen über das Jackett, bewegt ihn nach oben, stößt ihn an, lässt ihn fallen, nimmt den zweiten Busen hinzu, um dann beide Brüste rhythmisch nach oben, zueinander und auseinander zu schieben. Auch das Bauchgewebe nutzt die Tänzerin und Choreografin wie formbares Material. Sie schiebt es, vor einer Kamera stehend, zu einem Gesicht zusammen und in alle möglichen denkbaren Positionen, die das Publikum auf einem großen Bildschirm nachvollziehen kann.
Im interdisziplinären Pingpong haben Demandt, Schray und Thomas eine Ästhetik entwickelt, die konsequent von der Beschaffenheit der Haut von Thomas – und somit auch von älterer Haut – ausgeht. Schray berichtet, dass sich Zuschauer*innen jeden Alters, insbesondere jüngere Tänzerinnen, sehr berührt von der Inszenierung zeigen und diese als empowernd erleben. Sie führt das zurück auf die wertfreie und entdeckungsfreudige künstlerische Auseinandersetzung, die erstmal einem Körper, unabhängig seines Alters gilt. Tatsächlich empfinden viele Zuschauerinnen Thomas Umgang mit ihrem Körper auf der Bühne als vorbildhaft und bedanken sich für ein neues Rollenmodell.
Es scheint, als brauche es neben Vorbildern für den (tänzerischen) Umgang mit dem eigenen Alter(n) in der Kunst- und Tanzszene grundsätzlich eine veränderte Haltung zum Alter. Demandt berichtet, dass ihr chronologisches Alter von 65 Jahren ihre Identität als Künstlerin nicht beeinflusse. Doch der Blick von außen verändere sich. Nicht wenige Verantwortliche in Kunst und Kultur verlieren beispielsweise ihr Interesse an der Präsentation der Arbeiten, wenn sie das Alter der Fotografin erfahren. Die Fotografin konstatiert eine doppelte Diskriminierung älterer Künstlerinnen aufgrund ihres Alters und ihres Geschlechts. Ihre Erfahrung: „Die Leute gehen ins Internet und sehen, wie alt du bist und basta, fertig, aus.“ Das zeigt sich auch im professionellen Tanz, in dem die Ästhetik und Geschichten alter Körper einen verschwindend geringen Anteil haben.
Während der Aufführung in Köln führt Thomas die Besucher*innen vom Ausstellungsraum weiter in einen größeren Saal. Das Publikum sieht ihr dort dabei zu, wie sie zum Geigenkonzert von Johann Sebastian Bach mit nackten Beinen, in einer Teddyjacke und Plateaupumps auf einer Drehbühne tanzt, springt, die Beine streckt und deren Haut vibrieren lässt. Die Assoziation der Spieldose, auf der sich eine Ballerina in eleganter Pose dreht, drängt sich auf. Indem Thomas sich in Rockstarmanier präsentiert, behauptet sie, dass auch „das Wackelfleisch die Drehbühne wert ist“. Kurz vor Performance-Ende schlüpft die Tänzerin in ein hautenges, schwarzes Abendkleid, das auf Bauchhöhe kreisrund ausgeschnitten ist. Thomas flaniert – ihren Bauch präsentierend – über die Bühne und an den Zuschauer*innen vorbei, bevor sie den Raum verlässt, zumindest für diesen Abend. Denn, so Thomas: „Es ist jetzt an der Zeit, dass man einfach seine Arbeit weitermacht.“