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  • Praxiseinblick

Auf und davon – Ein Filmprojekt über das imaginäre Reisen mit KiTa-Kindern und Menschen mit Demenz

von Jutta Schmidt

In Dortmund gibt es mehrere Gebäude, in welchen KiTa und Senior*innen-Einrichtung unter einem Dach untergebracht sind. Dennoch mangelt es an intergenerationellen Aktivitäten. Einer dieser Orte ist die AWO-Tagespflege in der Mergelteichstraße in Dortmund-Harnbruch; diese teilt die sich ein Gebäude mit einer großen AWO-KiTa. Ein perfekter Ort für ein die Generationen übergreifendes Projekt. Jutta Schmidt, Medienkünstlerin, Kunstvermittlerin und Kulturgeragogin, hat dort 2023 ein Filmprojekt angestoßen, innerhalb dessen Menschen mit Demenz und KiTa-Kinder imaginär gemeinsam auf Reisen gehen sollten. Sie konnte die AWO-KiTa-Leitung sowie den Bereichsleiter der AWO-Tagespflege von ihrer Idee überzeugen und es startete eine Pilotphase. Dafür hat sich eine intergenerationelle Gruppe aus KiTa-Kindern und Menschen mit Demenz mit dem Thema Reisen beschäftigt und Bilder gestaltet, die mittels einfacher Legetricks zu kurzen Filmszenen zusammengestellt wurden.

Erprobungsphase

Es wurde erprobt, ob die Kinder und Senior*innen Spaß bei einer solchen Auseinandersetzung haben und ob diese Filmidee überhaupt mit einer intergenerationellen Gruppe umsetzbar ist.

Innerhalb dieser Testphase hat Jutta Schmidt mit Unterstützung einer Erzieherin und eines Pflegers entsprechende Methoden, Techniken und Vorgehensweisen erprobt. Zunächst lernten sich die Teilnehmenden kennen. Im spielerischen Dialog wurden vergangene und ersehnte Reisen thematisiert und man einigte sich auf das erste Reiseziel. Die imaginären Koffer wurden gepackt – und auf ging es: nach New York! Über großformatige Fotografien der Sehenswürdigkeiten setzten sich Senior*innen und Kinder mit den Attraktionen der Stadt auseinander. Dies erfolgte, indem sie zum einen malerisch tätig wurden und sich zum anderen die aufregende Stadt auch mit musik- und theatergeragogischen Methoden erschlossen. Es entstanden erste Ton- und Filmsequenzen über die Flugreise, eine Fahrt mit dem gelben Taxi und ein Titelsong.

Projektstruktur und praktisches Vorgehen

Als Ort für die Umsetzung dient der Gemeinschaftsraum der Tagespflegeeinrichtung der AWO Mergelteichstraße in Dortmund-Hombruch. Dieser bietet Platz für das gemeinsame Arbeiten und verfügt auch über einen Nebenraum mit Spielzeug, in welchen die Kinder sich auch bei Bedarf zurückziehen und/oder bewegen können. Einmal monatlich setzt sich Jutta Schmidt gemeinsam mit den Teilnehmenden (Tagespflegegäste mit Demenz und KiTa-Kinder) mit der ausgedachten Reise und dem Ziel auseinander. Dabei wird sie von einer Erzieherin, einem Pfleger und weiteren Helfer*innen unterstützt. Das Reisen und die Gegebenheiten des ausgewählten Ziels werden über Fotos, Beamer und entsprechende Objekte dialogisch, oder auch mit Musik und Theater(geragogik) erfahrbar gemacht. In der anschließenden Übertragung dieser Erfahrungen in Zeichnungen und Malereien entstehen Bilder von Fahrzeugen, Orten, Gebäuden, Menschen und Objekten. Bei jedem Treffen werden die Bilder, die beim vergangenen Treffen entstanden sind, gezeigt und es wird wiederholt, was zur Reise bisher besprochen wurde. An dieser Stelle wird dann jeweils weitergearbeitet.

Stück für Stück entsteht ein Film

Nach mehreren Treffen wird das erarbeitete Material mittels Legetricks von den Kindern und Senior*innen zu kurzen Filmszenen animiert. Dafür werden zunächst von den Teilnehmenden die ausgeschnittenen Objekte auf selbst erstellten Hintergründen zu Szenen zusammengesetzt. Anschließend werden Protagonisten, Fahrzeuge oder andere Elemente von den Teilnehmenden durch die einzelnen Szenen bewegt. Dies wird in kurzen Sequenzen gefilmt. Parallel sprechen Senior*innen und Kinder kurze Statements, Ausrufe und Dialoge ein. So entsteht Stück für Stück aus dem gemeinsam erstellten Bild- und Tonmaterial ein Film der imaginären Reise, den Jutta Schmidt aus all dem erarbeiteten Material final zusammenfügt.

Erweiterung des Projekts in 2024

Eine Gruppe aus etwa fünf Menschen mit Demenz und fünf bis sieben KiTa-Kindern kann aktuell mit Unterstützung durch eine Projektförderung aus dem Fonds Kulturelle Bildung im Alter (kubia) erneut auf Reisen gehen. Seit Januar 2024 werden die Erfahrungen aus der Testphase genutzt und ausgebaut. Zunächst hat die Reisegruppe noch weitere Sehenswürdigkeiten New Yorks besucht und die USA-Reise beendet.

Dann wurde mit Tibet ein neues Reiseziel ausgewählt. Die lange Reise führt über einen Stopp bei der Chinesischen Mauer ins Himalaya-Gebirge. Und natürlich wird es auch einen Besuch beim Dalai Lama geben! Dafür wird gesungen, gemimt, Text eingesprochen, gezeichnet, gemalt, gefilmt und fotografiert. Aus den Projektgeldern konnte Jutta Schmidt das Projektteam um die Kunstvermittlerin Karin Dahms (Museum Ostwall im Dortmunder U) erweitern. Dahms ist sowohl erfahren in der Projektarbeit mit KiTa-Kindern als auch in der Arbeit mit Menschen mit Demenz. Es hat sich in der Testphase gezeigt, dass insbesondere die KiTa-Kinder innerhalb der 90-minütigen Workshops bisweilen Spiel- und Motivationspausen benötigen, während die Senior*innen gerne weiterarbeiten. Bei diesem Spagat leistet Dahms tatkräftige Unterstützung.

Jeder traut sich immer mehr zu

Immer wieder äußern sich die Senior*innen begeistert über das zuweilen auch recht wilde Treiben der KiTa-Kinder. In den intensiven Arbeitsphasen erklären sie sich gegenseitig, was die Freiheitsstatue ist, wie berühmt die Ming-Vasen sind und was man am besten anzieht, wenn es zum Himalaya geht. Die Kleinen schneiden für die Großen aus und die Großen füllen geduldig Farbflächen, für die die Kinder gerade nicht genug Geduld haben. Es gibt kleine Fotograf*innen und Kameraleute, denen sich die Senior*innen gerne vor der Kamera präsentieren. Es ist immer wieder für alle eine Herausforderung, wenn die Legetrickszenen mehrfach wiederholt werden müssen. Aber selbst wenn das Taxi doch gar zu ruckelig losgefahren ist oder das Flugzeug einfach nicht auf die richtige Flughöhe geschoben wird, sind die Szenen irgendwann perfekt im Kasten. Besonders anstrengend sind für einige auch die eingesprochenen Textbeiträge. Diese werden entweder frei eingesprochen oder es gibt kurze Sätze in einfacher Sprache, die Jutta Schmidt aus den dialogischen Auseinandersetzungen entwickelt und dann von den Teilnehmenden einsprechen lässt. Doch mit Fortschreiten des Projekts trauen sich alle immer mehr zu sprechen und sind entsprechend freudig überrascht, sich im Anschluss selbst auf dem Band zu hören.

Nachhaltige Wirkung und Ziele

Ende 2024 soll ein Gesamtfilm (ca. 25–35 Minuten) zeigen, wie sich Vorstellungen, Erfahrungen, Hoffnungen und Erwartungen von Kindern und Senior*innen zu einer gemeinsamen Bilder-, Gedanken- und Erlebniswelt verbinden können. Der Film und eine geplante Premiere im Dortmunder Kino im Depot, bei welcher auch die im Projekt aktiven Kinder und Senior*innen zu Wort kommen, soll zum Leuchtturmprojekt für die erfolgreiche Zusammenarbeit von Altenpflege und Elementarpädagogik dienen. Der Film soll nach der Premiere über YouTube abrufbar sein und kann somit anderenorts zu einer solchen Zusammenarbeit motivieren.

Das Projekt möchte das Engagement und die Bedeutung von Kunst- und Kulturgeragog*innen beispielhaft deutlich machen und auch andere Institutionen ermutigen, sich eine solche Unterstützung zukommen zu lassen, um längerfristige und intensive Projekte zu realisieren. Das Erleben der Kinder und Menschen mit Demenz als generationenübergreifende Crew einer Filmproduktion schafft Gemeinschaftsgefühl und gegense1t1ge Anerkennung, Aufmerksamkeit für die jeweils andere Generation und natürlich viel Aufregung und Freude. Das Projekt Auf und davon vermittelt beispielhaft, wie wertvoll und ertragreich eine solche Gemeinschaft sein kann und wie Inklusion gelebt werden kann.

Jutta Schmidt absolvierte eine klassische Fotografenausbildung und arbeitete zunächst als Bildjournalistin. Nach langjähriger Praxis als Fotografin im Bereichen Werbung, People und Mode studierte sie in Saarbrücken „Neue Künstlerische Medien“ mit dem Schwerpunkt Fotografie und war Meisterschülerin von Ulrike Rosenbach und Else Gabriel. Heute lebt und arbeitet sie als Künstlerin, Dozentin, Kunstvermittlerin und Kulturgeragogin im Ruhrgebiet. Sowohl für ihre künstlerischen Foto- und Videoarbeiten, die sich mit dem Alltag und sozialen Wirklichkeiten auseinandersetzen, als auch für ihre kulturpädagogische Arbeit, erhielt sie zahlreiche Auszeichnungen und Förderungen. Jutta Schmidt absolvierte 2017 die entsprechende Zertifikatsausbildung zur Kulturgeragogin und spezialisierte sich innerhalb ihrer geragogischen Arbeit auf Menschen mit Demenz.

Kontakt: info@jutta-schmidt.com

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