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  • Porträt

Raus ins Grüne – Sinnliche Naturerlebnisse mit der Kulturgeragogin Petra Kellermann

von Imke Nagel

Petra Kellermann gestaltet Kulturnachmittage im Grünen für Menschen mit Demenz und deren Angehörige. Passend zum jeweiligen Veranstaltungsort wählt sie Kunstwerke, Gedichte und Musikstücke aus.

Den Kulturnachmittag in der Natur erfand Kellermann zur Zeit des Corona-Lockdowns. Auf ausgiebigen Fahrradtouren durch ihre Heimatregion Fürstenfeldbruck in Oberbayern machte sie dafür insgesamt fünfzehn faszinierende Naturorte aus, „wo man einfach gleich in eine Atmosphäre gehüllt ist“, so Kellermann. Das sind Streuobstwiesen, ein Schloss mit Rosengärten, ein kleines Pfefferminzmuseum inmitten von Pfefferminzfeldern oder ein Bauernhofmuseum mit Waldschafen. Die Kulturgeragogin hat einen Blick für besondere Orte in der Natur, auf die man „gar nicht so viel Programm dazu schaufeln“ müsse.

Liebe zum Detail

Kellermann schaufelt auch nicht, sondern plant und gestaltet mit Liebe zum Detail ein ganzheitliches Angebot. Die Naturorte vor Augen, recherchiert sie Gedichte und Lieder und wählt thematisch passende Kunstwerke aus. Für einen Nachmittag im Rosengarten am Schloss ist der Themenschwerpunkt Rose naheliegend. Die Teilnehmer*innen bekommen eine Marzipanrose zur Begrüßung. Dazu reicht Kellermann Wasser mit Rosenblüten, der Tisch ist mit einer Rosen-verzierten Decke geschmückt. Findet der Nachmittag unter dem alten Apfelbaum auf der Obstwiese statt, werden die Gäste mit Apfelsaft empfangen. Es gibt Apfelstrudel und die Gäste haben Gelegenheit, über die Streuobstwiese zu spazieren, Äpfel zu pflücken, ihren Duft zu schnuppern und eine geschmackliche Kostprobe zu nehmen.

Gleich zu Beginn einer jeden Veranstaltung spielen ehrenamtliche Musiker*innen mit Akkordeon oder Horn Lieder, zu denen die Gäste gern mitsingen.

Immer richtig

Für den darauffolgenden 20- bis 30-minütigen Kunstdialog hat die Kulturgeragogin eine Auswahl an Bildern im Gepäck. Im Kunstgespräch geht es Kellermann nicht um Wissensvermittlung und schon gar nicht um ein Abfragen von Richtig oder Falsch. Es geht um den Austausch von Eindrücken, Assoziationen und Geschichten, die die Bilder hervorrufen. In Franz Marcs Gemälde „Blaues Pferd“ etwa sieht eine Teilnehmerin, dass das Pferd gerade seine Mutter verloren habe, es schaue so traurig. „Nee, da ist eine Fliege, das Pferd hält den Kopf so“, kommentiert eine andere. Kellermann schätzt die fantasievollen Interpretationen, persönlichen Erfahrungen und Blickwinkel der Gäste mit Demenz.

In der Moderation greift sie Gesagtes gut hörbar auf und ermuntert, daran anzuknüpfen. Ihr gelingt es, das Gefühl von Gemeinschaft in der Gruppe herzustellen. Als ein Mann beim Anblick eines Bildes mit den Lieblingsblumen seiner verstorbenen Frau weint, erhält er Gesten tröstenden Zuspruchs.

Für alle etwas

Nach der Kunstbetrachtung rezitiert die Kunstvermittlerin ein prägnantes Reimgedicht. Oft untermalt sie die Gedichte mit Bewegungen, die die Zuhörer*innen übernehmen. Viele sprechen auch den Text mit. Je nach Mobilität der Gruppe gibt der späte Nachmittag dann Gelegenheit, sich auf dem Gelände umzuschauen und sinnliche Erfahrungen zu sammeln: bei Live-Musik und Brot-Zeit, bei einer Blumenwiese, beim Tasten der Haptik des Baumstamms oder beim Lauschen der blökenden Schafe.

Zum Abschied verschenkt Kellermann Postkarten der betrachteten Kunstwerke und setzt damit eine letzte Schleife auf das mit Sorgfalt ausgewählte und bunt geschnürte Angebot.

Mit der Bandbreite an sinnlich Erlebbarem gewährleistet die Kulturgeragogin, dass alle Gäste profitieren, auch jene mit Seheinschränkungen etwa: „…dafür hab‘ ich dann die Musik, die Gedichte, die Stimmen, das Berühren, sodass alle etwas davon haben.“

Barrierearm angelegt

Auch die Anmeldungen hat Kellermann von Anfang an niedrigschwellig geplant, sie sind telefonisch möglich. Vielen der Angehörigen fällt der Griff zum Telefonhörer leichter als der zum Computer. Und die Kulturvermittlerin ist dank der Telefonate gut auf die jeweilige Gruppe vorbereitet. Sie hört, was die Menschen gerade beschäftigt, fragt nach Vorlieben beim Essen, nach möglichen Sinnes- oder Mobilitätseinschränkungen und nach dem Musikgeschmack: Ist es Klassik, Schlager- oder eher Volksmusik, die der Partner oder die Mutter gern hört?

Barrierearmut und Zugänglichkeit sind schon länger ein Thema für Kellermann. Vor der Entwicklung des Kulturnachmittags hat die Kunstvermittlerin 20 Jahre das inklusive Kulturfestival ZAMMA in Oberbayern geleitet. Neben Gebärdensprachkunst oder inklusivem Trommeln waren dort auch Demenzpoesie und Biografiearbeit im Programm.

Im Sonderurlaub zur Pflege ihrer an Demenz erkrankten Schwiegermutter und ihrer Eltern nahm sie parallel die Weiterbildung zur Kulturgeragogin an der FH Münster auf. Seither hat die nun freiberuflich Tätige nicht nur den Naturnachmittag ins Leben gerufen, sondern auch für das Haus der Kunst München Ausstellungsführungen für Blinde und Sehbehinderte sowie für Menschen mit Demenz konzipiert. Überdies führt sie regelmäßig Kulturnachmittage in Pflegeheimen durch. Die dortigen Fachkräfte schätzen das Kulturangebot, denn sie beobachten Lebendigkeit, weniger Unruhe und gute Stimmung bei den Teilnehmenden.

Unterstützung gewinnen

Die Kulturnachmittage in Pflegeheimen werden von der Bürgerstiftung Fürstenfeldbruck unterstützt und finanziert. Kellermann mag Akquise und vernetzt sich gern. Sie hat „Spaß am Rumtelefonieren und Fragen, wer Lust hat, mitzumachen“. Für die Startphase der Naturnachmittage hat sie Stiftungsgelder für einen Hol- und Bringdienst akquiriert. Zusätzlich erhielt sie Fördergelder aus dem Bayerischen Demenzfonds.

Im Rahmen des BMFSFJ-Projekts „Lokale Allianzen für Menschen mit Demenz“ plant Kellermann aktuell mit dem Kompetenzzentrum für Demenz Fürstenfeldbruck Natur-Poesie-Spaziergänge für Betroffene und deren Angehörige unmittelbar nach der Erstdiagnose.

Neue Energie schöpfen

Die Route steht schon fest. Auf einem Waldweg zum Bauernhofmuseum soll es an fünf Zwischenstationen Gedichte, Musik und eine Brotzeit geben, vor allem aber viel Gelegenheit zum Austausch.

Die Kulturgeragogin wünscht sich, dass die Besucher*innen aus den Natur- und Kulturangeboten neue Energie schöpfen und spüren, „man ist nicht alleine in dieser Situation“. Denn, so Kellermann: „Die soziale und kulturelle Teilhabe kommt für Demenzerkrankte und deren Angehörige oftmals zu kurz.“ Sie setzt dem ihre aus Kunst, Kultur, Natur, sozialem Miteinander und einer Brise Leichtigkeit gewebten Kulturformate entgegen. Die Besucher*innen danken es ihr: „Toll, dass Sie sowas für uns machen!“

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