Vom anderen Stern? Qualitäten kooperativer Prozesse
Miriam Haller fragt danach, wie Kooperationen in der Kulturgeragogik gestaltet sein sollten, damit sich ein gemeinsames Verständnis von Qualität entwickeln kann.
In ihrem Beitrag für das Handbuch Kulturelle Bildung zeigt kubia-Leiterin Almuth Fricke auf, wie Kulturelle Bildung dazu beitragen kann, einen Dialog zwischen den Altersgruppen zu fördern, von- und miteinander zu lernen, Alters- und Jugendbilder sowie Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu reflektieren und kreative Begegnungsräume zu schaffen.
Im Zuge der demografischen Veränderungen unserer Gesellschaft stehen immer weniger Kinder und Jugendliche einer wachsenden Gruppe von älteren Menschen gegenüber (siehe Karl Ermert „Demografischer Wandel und Kulturelle Bildung in Deutschland“). Der jüngste Demografie-Bericht der Bundesregierung 2011 konstatiert, dass die Bevölkerung derzeit zu je einem Fünftel aus Kindern und Jugendlichen unter 20 und aus Über-65-Jährigen besteht, im Jahr 2030 werden die Über-65-Jährigen bereits etwa 29 % der Bevölkerung ausmachen (BMI 2011:32f.).
Begegnungen zwischen Jung und Alt zu initiieren ist in den letzten Jahren zum politischen Desiderat geworden. Damit soll einem befürchteten Konflikt zwischen den Generationen, bedingt durch den bevölkerungsstrukturellen Wandel und die damit verbundene Angst vor der Übermacht der Alten und um die Sicherheit der Renten- und Versorgungssysteme vorgebeugt werden. Mit Initiativen auf Bundesebene (durch Förderung des Netzwerks „Dialog der Generationen“, des Wettbewerbs „Video der Generationen“ oder in jüngster Zeit von „Mehrgenerationenhäuser“), auf Landesebene (z.B. durch Einrichtung eines „Generationen-Ministeriums“ in Nordrhein-Westfalen zwischen 2005 und 2010) und auf Europa-Ebene (2012 ist das „Europäische Jahr des Aktiven Alterns und der Solidarität zwischen den Generationen“) will die Politik gesellschaftliche Solidarität und Zusammenhalt stärken.
Der „Kampf der Generationen“ (Gronemeyer 2004) lässt sich allerdings nicht empirisch belegen: Die letzten Shell-Jugendstudien (2006 und 2010) verweisen vielmehr darauf, dass persönliche Beziehungen junger Menschen zu Älteren mit einem positiven Blick auf das Alter einhergehen und dass in den Familien gut funktionierende Generationenbeziehungen überwiegen. Allerdings wachsen immer mehr Kinder und Jugendliche in großer räumlicher Distanz zu ihren Großeltern auf, andererseits wird künftig etwa ein Drittel der Über-65-Jährigen überhaupt keine eigenen Kinder oder Enkel haben. Freiwillige und selbstverständliche Begegnungen und Austauschmöglichkeiten zwischen den Generationen sind so eher die Ausnahme geworden. Es herrsche vielmehr ein „gepflegtes Nebeneinander der Generationen“ (Clausen 2010:69) bzw. „eine gewisse Sprach- und Beziehungslosigkeit zwischen Jung und Alt“ (Baiocco 2004:6f.).
In dem Maße, wie die Möglichkeiten für implizites mitgängiges Lernen zwischen den Generationen in der Familie abnehmen, wächst der Bedarf nach arrangierten intergenerationellen Begegnungen. Kunst und Kultur bzw. Methoden Kultureller Bildung scheinen hier ein besonders gutes Vehikel zu sein. In einer Vielzahl von generationenübergreifenden Projekten, besonders im Bereich der Darstellenden Künste, der Musik und Medien, werden Begegnungen zwischen den Generationen inszeniert, um Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu thematisieren. Ältere wie auch Jüngere sollen durch Methoden der Kulturellen Bildung die Möglichkeit erhalten, einen Blick auf die jeweils andere Generation zu entwickeln und die Welt mit deren Augen zu sehen.
Dabei ist die besondere Stärke der Kulturellen Bildung, dass sie Settings für ein Miteinander eröffnen kann. Neben dem Voneinander-Lernen, das auf einem Expertentum der einen oder anderen Generation beruht (z.B. in Paten- oder Mentorenprojekten) oder dem Übereinander-Lernen, in dem Wissen über die andere Generation vermittelt wird (z.B. in Zeitzeugenprojekten) vermögen es intergenerationelle Projekte der Kulturellen Bildung einen Dialog auf Augenhöhe zu stiften, bei dem alle Beteiligten ihre individuellen Kompetenzen und Fähigkeiten einbringen können: „Intergenerative Kunstprojekte ermöglichen einen gleichwertigen gemeinsamen Handlungsraum, in dem durch gestaltende und kreative Begegnungen zwischen den Generationen zum einen über das gemeinsame Tun, zum anderen über die entstehenden Objekte, aber vor allem durch die Gestaltung des Projektes durch die Teilnehmenden Begegnungsräume entstehen. Das Projekt stellt dabei unweigerlich einen inszenierten Raum dar, der vielleicht einen kleinen Impuls für die kulturelle Entwicklung in der Gesellschaft geben kann“ (Ganß 2010:159).
Solche Begegnungen in der Kunst können im Gelingensfall von allen Beteiligten als bereichernd, anregend und fruchtbar empfunden werden. Dennoch sind intergenerationelle Projekte keine Selbstläufer. Schon in der Planung ist zu überlegen, wie man beide Generationen dazu motivieren kann, sich aufeinander einzulassen. Unterschiedliche Werte, Lebensvorstellungen, kulturelle Vorlieben und mediale Wahrnehmungsmuster treffen aufeinander (vgl. auch de Groote 2010:50f.). Es bedarf einer professionellen pädagogischen Anleitung und Moderation, die Interessen und Bedürfnisse beider Generationen kennt und berücksichtigt. Hier sind fachliche, personale, kommunikative und methodische Kompetenzen gefordert, um Erfahrungen und Kenntnisse aus der Kulturellen Kinder- und Jugendbildung und erwachsenbildnerisches bzw. (kultur-)geragogisches Wissen zu kombinieren. Ergebnisoffenheit, Partizipations- und Aktionsorientierung als wichtige didaktische Orientierungen Kultureller Bildung sind dabei von größtem Wert. Lernarrangements sollten so beschaffen sein, dass sie die Mitgestaltung durch die Beteiligten ermöglichen und unterschiedliche generationsspezifische Kompetenzen, Wissensbestände, Einstellungen und Werte einbeziehen. Dies funktioniert, wenn alle Beteiligten den Projektprozess gemeinsam aushandeln und mitbestimmen können. Um gemeinsame Themen zu finden, können Ressourcen aus Lebenswelt, Sozialraum und Biografie genutzt werden. Wichtig ist es darüber hinaus, im Lernprozess mit den Beteiligten die vorhandenen Rollenmuster und Stereotype zu reflektieren, die Alters- und Generationsdifferenzen müssen thematisiert werden (vgl. auch Clausen 2010:71f.). Eine Herausforderung stellt auch die Rekrutierung von TeilnehmerInnen für intergenerationelle Projekte dar: Hierfür bedarf es nicht nur der Kontakte zu Akteuren der schulischen oder außerschulischen Bildung, sondern auch einer guten Vernetzung in den Bereich der Sozial- und Altenarbeit.
In einer Gesellschaft von drei und mehr Generationen gewinnen Bestrebungen zur Förderung von Toleranz und Solidarität zwischen Jung und Alt, zur Stärkung der intergenerationellen Solidarität oder zur Verbesserung des Erfahrungs- und Wissenstransfers zwischen den Generationen immer stärker an Bedeutung. Kunst und Kultur können hier als Katalysatoren wirken.
Doch sollte man dabei keinen „sozial-romantischen Generationenvorstellungen“ erliegen, denn oft werden intergenerationelle Aktivitäten nur als bedeutsam erachtet, „weil man stillschweigend davon ausgeht, dass die Generationensolidarität früher besser war“ (Höpflinger 2011:47). Kontakte zu anderen Generationen können zwar wertvoll sein, aber in manchen Lebensphasen und Fragen sind Kontakte zu Gleichaltrigen wesentlich bedeutsamer. Zudem zeigt die Erfahrung, dass das Interesse älterer Menschen an Generationenprojekten oft höher ist als das von Jüngeren. Diese Tendenz wird durch neue Konzepte eines produktiven Alterns verstärkt, durch die Ältere sich geradezu herausgefordert fühlen, durch Teilnahme an generationenübergreifenden Projekten ihre „Anschlussfähigkeit“ zu wahren. Ältere suchen auch zuweilen den Kontakt zu Jüngeren, um das eigene Alter zu verdrängen, oder sie überschätzen den Wert der eigenen Erfahrung, die z.B. für Jugendliche zwar interessant, aber nicht alltagsrelevant sind (ebd.). Michael Ganß weist darauf hin, dass intergenerationelle Projekte oft auf die „unterstützende wohltätige Komponente zurechtgestutzt sind“. Er fordert stattdessen generationsübergreifende Kommunikationsräume bereitzustellen: „Kunst ist wesentlicher Bestandteil der permanent stattfindenden Gestaltung menschlichen Zusammenlebens und muss als Ausdruck jeder gesellschaftlichen Praxis gesehen werden. Die intergenerative Arbeit sollte deshalb nicht das Besondere, sondern das Normale sein“ (Ganß 2010:138). Intergenerationelle Kunstprojekte bieten mehr als eindimensionales zielgerichtetes Tun: Sie ermöglichen Begegnung, Offenheit für das ganz Neue, die Kreation des Unerwarteten und Austausch über gemeinsames Handeln.